245 Kamele 
     
	 
	  
           Es ist nicht angenehm, nach einer
	 Niederlage am Berg nach Hause zu gehen. Jahrelang hatte ich
	 von diesem "Candlestick" geträumt, die Besteigung dieses
	 sagenhaft schönen Felsturms sollte eigentlich
	 der glorreiche Höhepunkt unserer
	 Tasmanienreise werden. Deshalb schmerzt die Niederlage sehr.  
	  	 Jetzt auf dem Heimweg muss ich mich ganz allein mit meinen
	 trüben Gedanken herumplagen, denn die Freunde hatten es eilig und
	 sind schon vorausgeeilt. Zu allem Überfluss beginnt 
	 nach einem längeren Anstieg mein linkes Knie zu schmerzen. 
	   
	 
	  
		  Der Weg zum Lagerplatz ist noch lang, aber das Knie 
		  braucht erst einmal Ruhe. 
			  Ich lege mich hin und schaue hinauf in den Himmel. 
			  Das tut gut. Die Sonne wärmt mich und von weit unten
			   höre ich das leise Rauschen des Meeres. Ich bin dem
			   Einschlafen nahe, da knackt es plötzlich im Gebüsch. Eine
	  junge Frau kommt heftig atmend den Hang herauf. Ich kenne
	   sie bereits, sie ist eine von drei Deutschen, die auf 
	   demselben Lagerplatz schlafen wie wir. Wegen der tiefstehenden
	    Sonne sieht sie mich offenbar nicht. Etwa fünf oder acht Meter
		 vor mir dreht sie sich um und dann geht alles so schnell,
		  dass ich sie nicht mehr warnen kann. Sie beginnt, ihr
		   kleines Geschäftchen zu verrichten. Ein reizvolles Bild,
		    das  mich aber gleichzeitig in eine ziemlich prekäre 
			Situation bringt. Natürlich darf ich sie nicht 
			zwischendurch stören, denn das würde sie in jedem Fall 
			übelnehmen. Zum Glück fällt mir
			rechtzeitig eine Lösung ein. Als sie zum Ende kommt,
			 drehe ich mich schnell
  nach hinten weg und sage verlegen stotternd: "Entschuldige bitte,
   aber ich habe mich 
  gleich umgedreht und ich habe auch gar nichts gesehen." Einen Moment
   lang ist es still, doch dann lacht sie und sagt: "Hoffentlich
    bist du nicht blind geworden." Gott sei Dank, die Situation ist 
	gerettet. Etwas später kommen ihre beiden Partner, Mann und Frau,
	 den Hang herauf. Alle drei setzen sich zu mir und wir tauschen
	  uns aus über unsere bisherigen Erlebnisse in Tasmanien und 
	  über viele andere Dinge des Lebens.
	  
	  
            Torsten stammt aus einem Dorf bei Halle.
	    Etwa vor einem Jahr war er vor der Härte des ostdeutschen
		 Arbeitslebens geflohen. Hier in Tasmanien hat ihn eine
		  Mischung von Gelegenheitsarbeit und abenteuerlichen Unternehmungen
		   in der Absicht bestärkt, nie mehr nach Deutschland 
		   zurückzukehren. Peggy, mit der ich mich seit wenigen
		    Minuten intim verbunden fühle, und die ebenfalls bildhübsche
			 Sabine stammen aus Niederfranken und sind nur zum Urlaub
			  hier. Wie die drei sich zusammengefunden haben, 
			  bleibt unklar. Doch einen anderen Punkt,
			   der mich ebenfalls bewegt, bringe ich zur Sprache.
    Nämlich dass es sehr ungerecht sei, wenn einer gleich zwei hübsche
	 Mädchen bei sich hat und ich ganz alleine wandern muss. Torsten 
	 lächelt verschmitzt und sagt, ich dürfe mir gern eine von den
	  Beiden aussuchen. Auch die Mädchen lächeln zustimmend und 
	  Peggy ergänzt, dass jede von ihnen 245 Kamele kosten würde.
	   245 Kamele - wieso?  Peggy erklärt es. Sie hat einen Bruder,
	    und als der 15 war, hätte bei einer
		Reise nach Tunesien ein 
		Scheich den Eltern 245 Kamele geboten, wenn sie ihm 
		den blondgelockten Jungen mit den schönen blauen Augen
		als Gemahl für
		 seine Tochter Raisa verkaufen würden. Die Eltern schlugen
		  damals das Angebot aus, aber seither gäbe es eben diesen 
		  Richtpreis für solche und ähnliche Transaktionen.
		  
		   
            Die beiden Mädchen 
	 sind - jede auf ihre Art - tatsächlich sehr hübsch.
	    Aber 245 Kamele, das finde ich doch gewaltig übertrieben. Mit dieser
		 Forderung schlagen sie mich als mittellosen Rentner brutal
		  aus dem Feld. Und das offenbar mit voller Absicht, denn aus 
		  ihren Augen blitzt jetzt ganz deutlich Hohn und Ironie.
		   Natürlich sind die Beiden im Recht, denn ich bin doch wirklich
		    viel zu alt für sie. Aber sie hätten mir das durchaus 
			etwas schonender mitteilen können. Ich fühle mich gekränkt
			 und beschließe, es ihnen heimzuzahlen. Ich protze also,
			 die 245 Kamele wären für mich überhaupt kein Problem. 
			   Schwierig sei nur, eine von ihnen auszuwählen,
			    weil sie alle beide so schön wären. Vor meiner
				 Entscheidung würde ich deshalb einen kleinen Bildungstest
				  ausführen wollen und die Klügere dürfe dann mit mir gehen.
				   Ich stelle ihnen folgende Aufgabe, die ebenfalls
				    von Kamelen handelt: 
					
					
               In einem fernen Land,
	    vermutlich ebenfalls in Tunesien, starb eines Tages ein Scheich. Er hatte
		 vorher verfügt, dass seine zwei Söhne ihn zu gleichen Teilen 
		 beerben sollten. Er hinterließ eine Herde Kamele. Die beiden
		  Söhne aber hielten nichts von Kamelen und auch nichts vom Leben 
		  auf dem Lande. Sie wohnten längst in der Stadt und handelten mit
		   Opium. Deshalb verkauften sie die Kamele. Der Käufer aber
		    war ein Schalk und er bot ihnen für jedes Kamel genau
			 so viele Goldstücke, wie die Herde Kamele umfasste. Das 
			 ergab einen ansehnlichen Haufen von Goldstücken und
			  die Brüder begannen mit der Aufteilung. Zunächst nahm 
			  sich der Erste 10, dann der Zweite 10. Dann wieder
			   der Erste 10 und immer so weiter.  Am Ende bekam 
			   der Erste noch einmal 10, aber für den Zweiten blieb 
			   nur ein Rest kleiner als 10. Eine Weile überlegten 
			   die Beiden, dann sagte der Erste: Hier, sieh meinen Dolch.
			    Du weißt, wie kostbar er ist. Ich gebe ihn dir und dann 
				sind wir genau quitt. Wie gesagt, so getan.
 
				
				
             Herauszufinden ist, wieviel Goldstücke 
	  der Dolch wert ist. Die Lösung ist nicht ganz leicht, 
	  aber die beiden Mädchen packt der Ehrgeiz und sie beginnen
	   eifrig zu rechnen, still und jedes für sich allein. Wie zu
	    erwarten, haben sie nach einer Viertelstunde immer noch 
		kein Ergebnis. Ich versuche jetzt meinerseits, etwas Hohn
		 und Ironie aus meinen Augen blitzen zu lassen und breche
		  den Test kurzerhand ab mit dem harten Urteil, dass ich 
		  keine von beiden auswählen würde. Da hilft ihnen auch kein
		   Maulen, ein gewisses Bildungsniveau muss schließlich eingehalten
		    werden. 
			
			
            Auf dem restlichen Heimweg bin ich also
	   wieder ganz allein. Das Knie tut immer noch weh und als die
	   Dämmerung hereinbricht, muss 
	     ich besonders langsam gehen. Wirklich ätzend. Bloß 
		gut, denke ich, dass ich jetzt in meinem Unglück nicht noch eine
		 junge Dame unterhalten muss. Und als mich meine Kletterfreunde später am 
		 Lagerfeuer fragen, was mich heute so lange
		  aufgehalten hätte, erzähle 
		 ich ihnen nur von meinen Knieschmerzen. Mehr erfahren sie nicht,
		  denn sonst würden sie vielleicht versuchen, irgendwo
		  245 Kamele aufzutreiben, statt sich ordentlich auf 
		   den morgigen Klettertag vorzubereiten.
		    
		   
		     
   
		    
Nachbemerkung: 
Der Dolch ist  2 Goldstücke wert. Wenn Ihr es schafft, das
 mathematisch exakt zu beweisen, schickt den Beweis bitte
  an meine e-mail-Adresse.
  
  
 
    Ich antworte Euch dann mit einem
   allgemeinen Lob oder ggf. sogar mit einem Unterstützungsschreiben
    für Euern Mathelehrer.
	
	
	
	
	 
	Zurück zur Startseite